hr-iNFO Büchercheck: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt von Jesmyn Ward

hr-iNFO Büchercheck: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt von Jesmyn Ward

14.06.2018

Der 13jährige Jojo und seine kleine Schwester Kayla leben im Haus der Großeltern in Mississippi. Der Großvater züchtet Ziegen, ist eine Art Selbstversorger. Die Großmutter dämmert krebskrank dem Tod entgegen. Die Mutter jobbt in einer Kneipe, schluckt Drogen, wenn sie sie kriegen kann und hat keine Empathie für ihre Kinder. Der Vater, ein Weißer, sitzt im Knast. Seine Eltern lehnen ihre Enkel und deren Mutter ab, es sind ja Schwarze. Und der Cousin des Vaters hat einst den Bruder der Mutter erschossen, weil der eine Wette gegen ihn gewonnen hatte. Die Tat wurde als Jagdunfall vertuscht. hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner den Roman gelesen.

Worum geht es?
Das Setting macht schon klar, es geht um soziales Elend, um tief verwurzelten Rassismus, um Gewalt und Unrecht. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Es gibt noch Hoffnung für eine bessere Zukunft. Dafür stehen die fürsorglichen Großeltern, die für die beiden Kinder die eigentlichen Eltern sind, dafür steht auch die symbiotische Beziehung der beiden Kinder zueinander. Sie kleben wie Kletten aneinander, stützen sich gegenseitig. Und: Diese Menschen verfügen über Kräfte, die ihnen helfen, dem Alltag stand zu halten und nach vorne zu gucken. In ihrer Wahrnehmung tauchen immer wieder Geister von Verstorbenen auf. Jojo, Kayla und ihre Mutter erkennen sie und reden mit ihnen. Es sind der ermordete Bruder der Mutter und ein Junge, der einst im Gefängnis zu Tode kam, weil der Großvater, der dort auch Zwangsarbeit leisten musste, ihn nicht retten konnte. Diese Figuren heben Raum und Zeit auf, verknüpfen die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Großmutter wiederum, eine Art Heilerin, glaubt nach wie vor an die Götter ihrer nigerianischen Vorfahren. Sie kann erst sterben, wenn diese Götter ihr in einem Ritual den Weg ins friedliche Jenseits weisen. Reale Welt und magische Parallelwelt vermischen sich so ständig. Es ist das Panorama einer schwarzen Südstaatenfamilie.

Wie ist es geschrieben?
Erzählt wird abwechselnd aus der Perspektive Jojos und seiner Mutter. Diese Perspektiven prallen hart aufeinander. Hier der empathische Sohn, dort die egoistische Mutter. Schon daraus ergeben sich dramatische Situationen. Ward erzählt sie mit großer sprachlicher Ausdruckskraft, mit Bildern in fetten und leuchtenden Farben. Ein intensives Erzählen. Das Drama spitzt sich zu, als der Geist des Jungen aus dem Gefängnis darauf drängt, seinen Tod aufzuklären. Der Großvater offenbart schließlich seine tragische Schuld. Er hatte den Jungen aufgespürt, als ein Trupp gewaltbereiter Weißer ihn nach einem Ausbruch suchte.
Er tötete ihn, weil ihn sonst die weißen Häscher brutal zu Tode gefoltert hätten.

Wie gefällt es?
Ich finde, Jesmyn Ward hat ein gleichermaßen zeitkritisches wie phantastisches und vor allem hochemotionales Buch geschrieben. Man muss sich nur darauf einlassen, die magische Einheit von Vergangenheit und Gegenwart als subjektive Realität zuzulassen. Dann wird man dieses Buch als tolle Entdeckung empfinden.

hr-iNFO

 

 

 

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gebundenes Buch, 304 S.
Sprache: Deutsch
Verlag Antje Kunstmann GmbH
ISBN: 9783956142246